IMI-Analyse 2025/22

Der neue Wehrdienst ist da!

Verpflichtungsfalltüren und Schein-Freiwilligkeit

von: Reza Schwarz | Veröffentlicht am: 27. August 2025

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Heute, am Mittwoch den 27.08.2025, wurde das neue Wehrpflichtgesetz (WpflG) oder umgangssprachlich formuliert „der neue Wehrdienst“ vom Merz-Kabinett in den Räumen des Bundesverteidigungsministeriums beschlossen1. Doch wie viel „Freiwilligkeit“ steckt in diesem Gesetz überhaupt noch drin, was rollt da konkret auf vor allem Jugendliche und deren Eltern zu, gibt es noch weitere Betroffene und was können sie tun, um ihr Recht auf Kriegsdienstverweigerung durchzusetzen?

Was ist alt, was ist neu?

Junge Menschen, die nach dem 31.12.2007 geboren wurden, werden bald einen Onlinefragebogen der Bundeswehr zugesendet bekommen. Dieser Fragebogen umfasst zum Einen die Erhebung personenbezogener Daten, wie zum Geschlechtseintrag, Familienstand, weiteren Staatsangehörigkeiten, Körpergröße und Gewicht oder auch zu Bildungsabschlüssen und weiteren Qualifikationen bzw. Fertigkeiten. Ebenfalls wird nach dem Vorliegen einer Schwerbehinderteneigenschaft (Grad der Behinderung (GdB) von mindestens 50), einer vorhandenen Gleichstellung mit schwerbehinderten Personen, sowie nach einer Selbsteinschätzung der körperlichen Leistungsfähigkeit gefragt. Darüber hinaus muss eine Erklärung zur Bereitschaft einen Dienst bei der Bundeswehr abzuleisten, abgegeben werden. Die Beantwortung des Fragebogens und der Bereitschaftserklärung ist für volljährige Personen mit einem männlichen Geschlechtseintrag verpflichtend. Der Fragebogen kann nicht nur online, sondern auch bei fehlenden technischen Möglichkeiten schriftlich abgegeben werden. Für die Beantwortung des Fragebogens samt Bereitschaftserklärung ist maximal ein Zeitraum von vier Wochen vorgesehen, ansonsten erhalten die Wehrpflichtigen eine erneute schriftliche Aufforderung mit einer Fristsetzung. Wer der erneuten Aufforderung zu spät oder gar nicht nachkommt, falsche oder unvollständige Angaben macht oder den Fragebogen „missbraucht“, begeht eine Ordnungswidrigkeit und kann mit einem Bußgeld geahndet werden2 3. Vorerst sollen nur „geeignete Bewerber*innen“ zur Musterung eingeladen werden, ab Juli 2027 soll die Musterung für alle männlichen 18-Jährigen zur Pflicht werden4, da laut Verteidigungsministerium ein „Lagebild über die gesundheitliche Eignung deutscher Männer im wehrfähigen Alter“ erstellt werden soll5. Bei der Musterung findet eine medizinische und psychologische Eignungsuntersuchung statt, von der aber falls sich im Vorfeld schon eine Nicht-Eignung abzeichnet, auch abgesehen werden kann6. Wenn Personen unentschuldigt nicht zur Musterungsuntersuchung oder zu ihrer Einberufung erscheinen, können diese nach wie vor mit Hilfe von Polizei, Staatsanwaltschaft und Feldjägerdienstkommandos gesucht und strafrechtlich belangt werden7. Vom Wehrdienst grundsätzlich befreit sind, trotz Gesetzesänderung, nach wie vor Pfarrer*innen, Priester mit einer Diakonatsweihe, Schwerbehinderte und Wehrpflichtige, die einer Beschäftigung innerhalb einer internationalen Behörde, welche einem völkerrechtlichen Vertrag unterliegt, nachgehen8. Auf Antrag können Menschen von der Wehrpflicht befreit werden wenn deren Vater, Mutter, Bruder oder Geschwister an den Folgen einer Wehr- oder Zivildienstbeschädigung verstorben sind, deren Geschwister oder sie selbst einen Grundwehrdienst, Zivildienst, einen Dienst im Zivil- oder Katastrophenschutz, einen Entwicklungsdienst, einen Freiwilligendienst (FSJ/BFD) von mindestens sechs Monaten absolviert haben oder als Soldat*in auf Zeit für höchstens zwei Jahre gedient haben. Auch der Familienstand spielt bei der Wehrpflicht nach wie vor eine bedeutende Rolle: verheiratete, in einer eingetragenen Lebenspartnerschaft lebende, sowie Elternteile (gemeinsames oder alleiniges Sorgerecht) können auf Antrag befreit werden9.

Bereits an die Bundeswehr übermittelte personenbezogene Daten dürfen nach §15b auch zur Übersendung von Informationen über Tätigkeiten bei den Streitkräften, in der Personalabteilung nach positiver Bereitschaftserklärung, zur Heranziehung und Einberufung im Spannungs- und Verteidigungsfall und zur Umsetzung des Arbeitssicherstellungsgesetzes (ASG) innerhalb des Spannungsfeld- und Verteidigungsfalls verwendet werden10. Dieses Gesetz zählt zu den Notstandsgesetzen und kann Menschen, mit Hilfe der Bundesagentur für Arbeit, dazu zwingen z.B. für die Bundeswehr, innerhalb von Behörden, Krankenhäusern, Pflegeheimen oder Einrichtungen des Zivilschutzes zu arbeiten11.

Was von der „Freiwilligkeit“ noch übrig bleibt

Letztes Jahr, im Juni 2024, sprach Verteidigungsminister Pistorius noch von einem Auswahlwehrdienst, bei dem nur die „fittesten, geeignetesten und motiviertesten“ einen Dienst bei der Bundeswehr ableisten sollten12. Dieser „Auswahlwehrdienst“ zerbröselte im Laufe der letzten Monate immer weiter zu einer Wehrpflicht, vor allem im Vorfeld zum letzten NATO-Gipfel bei dem beschlossen wurde, dass die Bundeswehr in Zukunft mindestens 260.000 aktive Soldat*innen haben muss. Weitere 200.000 sollen zusätzlich als Reservist*innen bereitstehen, um ein „schnelles Aufwachsen der Truppe“ im Ernstfall garantieren zu können13. Das einzige noch verbleibende Element der Freiwilligkeit ist, bei einer Ablehnung gegenüber einem Dienst bei der Bundeswehr, bis voraussichtlich Juli 2027 nicht zur Musterung gezwungen werden zu können. Nur mit Zwang können nämlich jährlich die im Gesetz zunächst veranschlagten 15.000 Rekrut*innen garantiert werden. Das sind anfangs zwar einschließlich der 10.000 schon bisher eingeplanten Freiwillig Längerdienenden „nur“ 5.000 mehr als bislang, jedoch gegenwärtigen Planungen zufiolge soll diese Zahl aber bis 2031 auf 40.000 rasant ansteigen (siehe IMI-Standpunkt 2025/043)14.
Besonders perfide: die Bundesregierung wird ermächtigt mit Zustimmung des Bundestags dieses einzige „freiwillige Element“ außer Kraft zu setzen, falls Deutschland sich laut deren Ermessen in einer bedrohten Lage befindet (ohne den Spannungs- und Verteidigungsfall) oder wenn der Spannungs- und Verteidigungsfall tatsächlich eintreten sollte15. Innerhalb dieses Falls, wenn ein „schnelles Anwachsen der Streitkräfte“ beabsichtigt wird, können sogar die personenbezogenen Daten 17-Jähriger durch das Bundesamt für Personalmanagement der Bundeswehr zu Rekrutierungszwecken verarbeitet werden16. Dass aber bereits seit Jahren immer wieder hunderttausende Minderjährige personalisierte Postkarten mit „einem Informationsangebot zum Arbeitgeber Bundeswehr“ oder eine Einladung zum Tag der Bundeswehr mit angepriesener „VIP Behandlung“ erhalten, ist leider Teil der aktuellen Realität und soll für Angehörige der Geburtenjahrgänge 2001-2007 fortgesetzt werden17 18 19. Das Bundesmeldegesetz (BMG) stellt aktuell und in den letzten Jahren sicher, dass jedes Jahr automatisch bis zum 31. März die personenbezogenen Daten aller Minderjährigen, die im Nächsten Jahr Jahr 18 Jahre alt werden an die Bundeswehr weitergeleitet werden20. Früher konnte man dieser automatisierten Datenweitergabe nach §36 Absatz 2 BMG widersprechen, was gemäß der aktuellen Version des Bundesmeldegesetzes jedoch nicht mehr möglich sein wird21. Eine weitere autoritäre Entgleisung stellt auch der §9 des seit November 2024 geltenden Selbstbestimmungsgesetzes (Gesetz über die Selbstbestimmung in Bezug auf den Geschlechtseintrag – SBGG) dar: Personen denen das männliche Geschlecht bei der Geburt zugwiesen wurde und die innerhalb des Spannungs- und Verteidigungsfalls oder zwei Monate bevor dieser festgestellt wurde, ihren männlichen Geschlechtseintrag streichen oder eine Änderung des Eintrags hin zu weiblich oder divers beantragen, können weiterhin zum Kriegsdienst verpflichtet werden. TIN* Personen (Trans* Inter* und Nicht-binäre) wird hiermit kollektiv unterstellt, den selbstbestimmten Geschlechtseintrag zu missbrauchen, „nur“ um der Wehrpflicht zu entgehen. Dies stellt auch einen massiven, staatlich organisierten Einschnitt bezüglich der sexuellen Selbstbestimmung dar22.

Das Recht auf Kriegsdienstverweigerung (KDV)

Hinweis: Im folgenden Abschnitt hieß es zunächst „[…] wenn ihr keinen Dienst an der Waffe leisten möchtet. Der Antrag muss dann anschließend beim Bundesamt für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben (BAFzA) eingereicht werden.“ Dieser inhaltliche Fehler wurde am 05.09.25 korrigiert.

Nach wie vor ist es möglich, selbst wenn die Wehrpflicht wieder vollumfänglich reaktiviert werden sollte, den Kriegsdienst zu verweigern. Voraussetzung für „Ungediente“ ist jedoch dafür eine durchlaufene Musterungsuntersuchung, ein Lebenslauf, sowie eine ausführliche Begründung, wenn ihr einen Dienst an der Waffe aus Gewissensgründen ablehnt. Der Antrag muss dann beim zuständigen Karrierecenter der Bundeswehr eingereicht werden und wird anschließend an das Bundesamt für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben (BAFzA) weitergeleitet, wo abschließend über euren Antrag entschieden wird. Ihr möchtet noch mehr Informationen zum Thema Kriegsdienstverweigerung oder seid Noch-Bundeswehrangehöriger und braucht dringend Unterstützung? Dann schau auf der KDV-Themenseite der Deutschen Friedensgesellschaft Vereinigte Kriegsdienstgegner*innen (DFG-VK) https://kdv.dfg-vk.de vorbei!

1Bundesministerium der Verteidigung (BMVg): Entwurf eines Gesetzes zur Modernisierung des Wehrdienstes (WDModG) – Referentenentwurf, bmvg.de, 30.07.2025 (letzter Abruf: 27.08.2025)

2Bundesministerium der Verteidigung (BMVg): Synopse zum Referentenentwurf eines Wehrdienstmodernisierungsgesetzes (WDModG) „§15a WPflG – Wehrpflichtgesetz“, bmvg.de

3Bundesministerium der Verteidigung (BMVg): Synopse zum Referentenentwurf eines Wehrdienstmodernisierungsgesetzes (WDModG) „§45 Absatz 1-7 Satz 2 WPflG – Wehrpflichtgesetz“, bmvg.de

4Bundesministerium der Verteidigung (BMVg): Synopse zum Referentenentwurf eines Wehrdienstmodernisierungsgesetzes (WDModG) „§2 WpflG – Wehrpflichtgesetz“, bmvg.de

5„FAQ Neuer Wehrdienst beschlossen: Das ist geplant – Fragebogen statt Wehrpflicht“, ZDFheute, zdfheute.de, 27.08.2025 (letzter Abruf: 27.08.2025)

6Bundesministerium der Verteidigung (BMVg): Synopse zum Referentenentwurf eines Wehrdienstmodernisierungsgesetzes (WDModG) „§17 WpflG – Wehrpflichtgesetz“, bmvg.de

7Bundesministerium der Verteidigung (BMVg): Synopse zum Referentenentwurf eines Wehrdienstmodernisierungsgesetzes (WDModG) „§44 WpflG – Wehrpflichtgesetz“, bmvg.de

8Bundesministerium der Verteidigung (BMVg): Synopse zum Referentenentwurf eines Wehrdienstmodernisierungsgesetzes (WDModG) „§11 Absatz 1 WpflG – Wehrpflichtgesetz“, bmvg.de

9Bundesministerium der Verteidigung (BMVg): Synopse zum Referentenentwurf eines Wehrdienstmodernisierungsgesetzes (WDModG) „§11 Absatz 2 WpflG – Wehrpflichtgesetz“, bmvg.de

10Bundesministerium der Verteidigung (BMVg): Synopse zum Referentenentwurf eines Wehrdienstmodernisierungsgesetzes (WDModG) „§15b WpflG – Wehrpflichtgesetz“, bmvg.de

11Bundesministerium der Verteidigung (BMVg): Synopse zum Referentenentwurf eines Wehrdienstmodernisierungsgesetzes (WDModG) „Arbeitssicherstellungsgesetz (ASG)“, bmvg.de

12Pistorius will die „fittesten, geeignetsten und motiviertesten“ Männer zur Bundeswehr holen – WELT, welt.de, 12.06.2024 (letzter Abruf: 27.08.2025)

13Bundesministerium der Verteidigung (BMVg): NATO-Verteidigungsministerinnen und -minister beschließen neue Fähigkeitsziele, bmvg.de, 05.06.2025 (letzter Abruf: 27.08.2025)

14Buchholz, Christine: Die verpflichtende Wehrpflicht wird kommen! – Interview mit Tobias Pflüger von der Informationsstelle Militarisierung, imi-online.de, 18.07.2025 (letzter Abruf : 27.08.2025)

15Bundesministerium der Verteidigung (BMVg): Synopse zum Referentenentwurf eines Wehrdienstmodernisierungsgesetzes (WDModG) „§2a WpflG – Wehrpflichtgesetz“, bmvg.de

16Bundesministerium der Verteidigung (BMVg): Synopse zum Referentenentwurf eines Wehrdienstmodernisierungsgesetzes (WDModG) „§15 Absatz 2 WpflG – Wehrpflichtgesetz“, bmvg.de

17Post von der Bundeswehr: 680.000 Jugendliche angeschrieben – WEB.DE, web.de, 14.05.2020 (letzter Abruf: 27.08.2025)

18Álvarez Moreno, Juan F.: Warum Tausende Minderjährige Postkarten von der Bundeswehr erhalten, RBB, rbb.de, 26.05.2025 (letzter Abruf: 27.08.2025)

19Bundesministerium der Verteidigung (BMVg): Synopse zum Referentenentwurf eines Wehrdienstmodernisierungsgesetzes (WDModG) „§58c SG – Soldatengesetz“, bmvg.de

20Bundesministerium der Verteidigung (BMVg): Synopse zum Referentenentwurf eines Wehrdienstmodernisierungsgesetzes (WDModG) „§4 BMeldDÜV “, bmvg.de

21Bundesministerium der Verteidigung (BMVg): Synopse zum Referentenentwurf eines Wehrdienstmodernisierungsgesetzes (WDModG) „§36 BMG – Bundesmeldegesetz“, bmvg.de

22Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz: §9 SBGG Einzelnorm – Gesetz zur Selbstbestimmung über den Geschlechtseintrag, gesetze-im-internet.de